Zweiter Geburtstag

Das wahre Leben kann erst nach dem Erwachen wirklich beginnen. Vielleicht hast auch du diese Aussage schon öfter gehört oder gelesen. Und vielleicht stößt sie dir mitunter sogar sauer auf. Weil du selbst schon so viele Sachen probiert, so viele Wege schon gegangen bist und du unwiderlegbar erfahren hast, wie es „dich weitergebracht“ hat. Und das hat alles seinen Wert, seine Richtigkeit und seinen Platz. Aber du wirst auch festgestellt haben, dass deine Suche nicht vorbei ist, dass du immer noch leidest. Dass da immer noch diese undefinierbare Sehnsucht in dir ist. Wahrscheinlich ist diese Sehnsucht durch die Erfahrungen weniger oft präsent als vor den Praktiken. Subtiler, aber immer noch vorhanden. Und sollte dich das stören, kann ich dir sagen, dass nur das Erwachen, das unmittelbare Erkennen deiner wahren Natur, dich direkt und ohne Umwege an „dein Ziel“ bringen kann. Und so ist das Erwachen tatsächlich wie ein zweiter Geburtstag. Denn in der sich daran anschließenden Zeit spürt man mit all seinem Sein immer deutlicher, was einem wirklich entspricht. Man sieht seinen Sinn und Zweck in einer Klarheit, welche der Verstand so, vorher niemals hätte erkennen können. Man gibt sich dem Leben mit einem neuen, unendlich tiefen, Urvertrauen hin.

Gleichzeitig zum erwachten Sein, hat der Organismus das Bedürfnis sich auszudrücken. Diese ureigenen Qualitäten der Individuation, können nun erstmalig vollkommen frei zur Entfaltung kommen. Da kein Ego mehr im Weg steht & diese Qualitäten einzugrenzen vermag. Das eine Sein drückt sich also durch die Individuation, mit seinen jeweiligen Qualitäten aus – als Teil des Lebens, der Menschlichkeit und der Welt.

Es ist so, dass man nach dem Erwachen in der Tiefe verstanden hat, was Leben ist und dass es in diesem darum geht, dem Ausdruck zu verleihen & dem immer mehr Raum zu geben, was dem wahren Sein der Individuation als Mensch wirklich entspricht. Es ist erkannt, dass es keine Notwendigkeit gibt, die Schichten des Egos durch spirituelle Praxis oder psychologische Übungen abzutragen, um „frei“ von den Wunden der Vergangenheit und der Tragweite jeglicher Verstrickungen der eigenen Gedanken zu werden – nur um zu erkennen – wer oder was man wirklich ist. Denn durch das Erwachen ist man im Sein & in der Wirklichkeit, bereits angekommen. Dieses Sein ist es, was das Leben in seiner Ganzheit –durch einen- Ausdruck verleiht.

„In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“

– Jesus

Das Erwachen als „zweiter Geburtstag“ beschreibt also einen tiefen Wendepunkt. Es ist der Moment, in dem man die Identifikation mit dem „Ich“, als das falsche Selbst, hinter sich lässt und beginnt, rein aus dem wahren Selbst zu leben. In Klarheit und Authentizität. Dieses neue Leben wird nicht mehr von der Suche nach Glück, Erfüllung und dem Streben nach Veränderung der äußeren Umstände beherrscht, sondern vielmehr davon, das wahre Selbst durch die Individuation zu entfalten und sich schöpferisch auszudrücken. Die Freiheit und innere Sicherheit, aus welcher man nun zu leben beginnt, befähigt einen, mit seinen Qualitäten, in der Welt genau so zu erscheinen, wie man wirklich ist. Ohne Masken und ichbezogene Verwirrungen. Es wird immer klarer, welcher Weg der seine ist und wie man seinen inneren, individuellen Sinn in die Welt bringt.

Die Stille & Leere, in welcher man nahezu permanent ruht und aus welcher man fortan lebt und handelt, ist pure Seligkeit. Aus dem unbewussten beschaut, ist es eine Rückkehr nach Hause. Da dein Herz dieses Zuhause bereits kennt, wirst du es ohne Zweifel erkennen, wenn es so weit ist. Es (dieses Sein – du selbst) ist absolut friedlich, still und harmonisch. Fortwährend ohne Druck, welcher einen antreiben will, irgendetwas oder etwas ganz Bestimmtes zu tun oder zu erreichen. Doch ist es so, dass auch ein wahrnehmen durch die Individuation auftaucht, was man am ehesten mit der Frage beschreiben könnte: Was mache ich noch hier? Hier meint damit das Leben als Mensch selbst. Es ist das Empfinden purer Sinnlosigkeit. Und auch wenn die Sinnlosigkeit selbst in der Tiefe schon durchlebt wurde, kann diese nun aus einer anderen Richtung erneut auftauchen. Es ist dann allerdings keine negative, bedrückende Sinnlosigkeit mehr, sondern vielmehr ein Bild, das einen dann nur noch wie eine Buddhastatue den Rest seines Lebens dasitzend erscheinen lässt. Oder auch wie kleine Kinderaugen, welche mit Neugier & Staunen die Welt um sich herum erfassen.

Es wird klar, dass der Organismus selbst sich ausdrücken möchte. Es ist also eine Sinnesfrage. „Warum bin ich jetzt noch hier?“ – impliziert vollkommen klar, dass man als die getrennte Erscheinung die man ist, also als Mensch, immer noch einen diesbezüglichen Sinn innehat. „Warum bin ich überhaupt hier?“ – „Was ist der Grund meiner Existenz?“ – sind Fragen, welche der Verstand formuliert. Und welche dann, vom Sein an sich, fast unmittelbar beantwortet werden. Der Unterschied zu vorher (vor dem Erwachen), ist der, dass die Instanz des Egos vollkommen in den Hintergrund getreten ist. Weil es „niemanden“ mehr gibt, der mit den Dingen, welche einem widerfahren, welche sich in einem offenbaren, etwas tun will. Man will nicht mehr weg von, man will nicht mehr festhalten an & man will auch nicht mehr ein Erreichen von…- um zuMan gibt sich dem vollkommen hin. Und spätestens nach dem Durchfühlen dessen, wird in einer Klarheit verstanden, was der Individuierte Sinn ist. Geht man diesem Sinn nicht nach, wird das Leben ein Wechselspiel aus Seligkeit & Sinnlosigkeit sein.

Natürlich gibt es nach wie vor auch noch „alltägliche“ Momente. Und natürlich auch spaßig – alberne. Auch widerfahren einem weiterhin die gewöhnlichen Dinge und Gefühle. Nichts hat sich verändert. Und doch hat sich einfach alles verändert. In einem Spruch aus dem Zen-Buddhismus heißt es:

„Vor der Erleuchtung: Hacke Holz und trage Wasser.

Nach der Erleuchtung: Hacke Holz und trage Wasser.“

Gedanken & Gefühle

So verhält es sich auch mit Gedanken welchen man hier & da unbewusst anhaftet und wodurch die einengenden Gefühle entstehen. Das geschieht natürlich auch nach dem Erwachen hier und da. Doch sobald eine Anhaftung, eine Identifikation geschieht, erlebt & erkennt man innerlich eine unsagbare Enge, eine enorme Dichte. Wodurch man nahezu augenblicklich zurück tritt oder das Gefühl hat, aus ihr herauszufallen. Das ist metaphorisch beschrieben, denn es gibt natürlich keine Richtung, in welche man dann auch noch getreten wird oder aus der gar gefallen wird. Es beschreibt das innere Geschehen, welches erfahren wird. Man fällt in die Leere, in den Frieden & in die Wirklichkeit „zurück“. Es ist die kosmische Ruhe, in der alles in seiner Essenz schon vollkommen ist. Diese Leere ist nicht bedrückend, sondern vielmehr ein sanftes Inneres, in dem die Notwendigkeit des Tuns & des Reagierens verschwindet.

Einige Zeit später kann es sein, dass dieses automatische herausfallen aus Identifikationen weniger schnell geschieht oder sogar ganz verschwindet. Doch nach dieser Zeit ist das auch nicht mehr notwendig. Die Eingeengtheit wird als das erkannt, was sie ist: Unwahr.

Denn wenn erkannt wurde, dass man in Wahrheit die Unendlichkeit selbst ist, ist alles, was einen innerlich in eine gewisse Enge treiben will, als Identifikation vollkommen substanzlos und löst sich auf, sobald es erkannt wurde. Man könnte auch sagen: Nachdem es entlarvt wurde.

Nach dem Erwachen spielt sich das Ego aus.

Es stellt sich eine Harmonie zwischen den beiden Zuständen ein. Zwischen ruhigem Verweilen & dem Ausdrücken des individuellen Weges. Die Herausforderung besteht darin, im Alltag egozentrisches Verhalten bewusst wahrzunehmen und aus Harmonie und Frieden heraus zu handeln. Denn – obwohl – man seine Natur erkannt hat, herrschen dennoch die alten Muster und Konditionierungen an einem. Die Kunst ist es, so gewahr zu sein, dass man es nicht nur erkennt, sondern dass man bewusst innehält & es durch das Erkennen selbst auflöst. Je nachdem, wie unbewusst man gelebt hat, kann sich das eine ganze Weile lang ausspielen. Und wahrscheinlich wird es sich den Rest des Lebens so verhalten. Doch das ist weder schlimm, noch bedauernswert. Da es immer nur kurze Reaktionen sind, welche noch dazu, relativ schnell bewusst werden. Mit der Zeit geschieht das immer schneller und in kürzeren Abständen.

Es ist ein natürlicher Prozess, der oft nach dem Erwachen auftritt – das Balancieren zwischen Ego und Sein, zwischen Herz und Verstand. Beide Seiten müssen anerkannt werden, um in Einklang zu gelangen. Der Weg der Integration und Harmonisierung erfordert Geduld und Feingefühl & geschieht schrittweise.

Zwei Fragen helfen im Besonderen: Was will ich wirklich? Was ist mein Sinn? Diese 2 Fragen wirft man in den inneren Raum & lässt sich in die Stille fallen, welche man selbst ist. Man lässt den Verstand ganz los, was nach dem Erwachen kein Problem mehr ist, und aus dieser inneren Leere – aus diesem Nichtwissen – offenbart sich der rote Faden, welche sich durch das gesamte Leben hindurch zieht. Und genau dem gibt man immer mehr Raum. Immer mehr & mehr…

Dadurch öffnet man sich immer mehr der tieferen Intuition und dem inneren Wissen, welches schon immer in einem war. Es ist der rote Faden, welcher sich schon durch sein gesamtes Leben zieht, was einem wirklich entspricht.

– Namaste

Zusammenfassung:

Beginn des wahren Lebens: Das wahre Leben beginnt nach dem Erwachen, wenn man seine wahre Natur erkennt und das Leben mit einem neuen Urvertrauen angeht.

Ausdruck des erwachten Seins: Der Organismus hat nach dem Erwachen das Bedürfnis, sich frei auszudrücken, da kein Ego mehr im Weg steht.

Erkennen des Lebenssinns: Nach dem Erwachen versteht man, dass es darum geht, dem wahren Sein Ausdruck zu verleihen und dass spirituelle Praktiken nicht notwendig sind, um frei zu werden.

Neue Lebensweise: Das neue Leben wird nicht mehr von der Suche nach Glück und Erfüllung beherrscht, sondern davon, das wahre Selbst schöpferisch auszudrücken.

Stille und Leere: Die Stille und Leere, in der man nach dem Erwachen ruht, ist pure Seligkeit und man erkennt den inneren Sinn des Lebens.

Herausforderung des Egos: Nach dem Erwachen spielt sich das Ego aus, und es ist wichtig, egozentrisches Verhalten bewusst wahrzunehmen und aus Harmonie zu handeln.

Integration und Harmonisierung: Der Weg der Integration und Harmonisierung erfordert Geduld und Feingefühl und geschieht schrittweise.

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